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Eindrücke vom Versöhnungsprozess in Sri Lanka

DGVN- und VDBIO-Mitglieder auf gemeinsamer Studienreise in Südasien


Auch im Sommer 2018 unternahm eine gemischte Truppe aus DGVN- und VDBIO-Mitgliedern wieder eine Studienreise, dieses Mal mit dem Ziel Sri Lanka und damit nach Myanmar (2016) und Kolumbien (2017) erneut in ein Post-Konfliktland. Wie im Falle Myanmars und im Unterschied zu Kolumbien waren in Sri Lanka nie Blauhelme bzw UN-Missionen im Einsatz, während Sri Lanka selbst schon seit 1960 zu den klassischen Truppenstellern der UN gehört (zurzeit u.a. mit einem Engagement in Mali).

 

Vor Reiseantritt informierten sich die Teilnehmenden in Berlin bei einem Briefing durch den für Südasien zuständigen Referatsleiter des Auswärtigen Amtes, VLR I Dirk Augustin, und den zu Sri Lanka forschenden Politikwissenschaftler Gerrit Kurtz über den von 1983 bis 2009 dauernden Bürgerkrieg und die aktuelle Situation des Landes. Nach Ankunft in Colombo fand der erste Gesprächstermin – einer schon aus früheren DGVN-Studienreisen bewährten Praxis folgend – in der deutschen Botschaft statt. DGVN und VDBIO danken an dieser Stelle dem stellvertretenden Botschafter Andreas Berg, seiner politischen Referentin und VLR I Augustin für die umfassende Einstimmung zum Verständnis des aktuell bestehenden Post-Konflikt-Zustandes auf der Insel. Im Anschluss an das Treffen in der Botschaft folgten in Colombo Gesprächstermine mit dem UN Resident Coordinator Terence Jones, dem für Sri Lanka zuständigen Direktor von UNDP, den Direktorinnen von ILO und UNFPA und Mitarbeitenden der UN Volunteers und der FAO. Seitens des Gastlandes wurde die Studienreisegruppe hochrangig wahrgenommen im Außenministerium durch den Additional Secretary of State (so die amtliche Dienstbezeichnung) M. Jaffeer und im Verteidigungsministerium durch den Chef der Armee, General Senanayake, und weitere hohe Militärs (die Begegnung mit einem Armeechef gab es bei den bisherigen Studienreisen der DGVN nicht). Weitere Treffen fanden statt in der High Commission (d.h. Botschaft) Indiens, der US-Botschaft und der EU-Delegation, im Goethe-Institut, in der Vertretung der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ), in den Räumen der Friedrich-Naumann-Stiftung, der zurzeit einzigen im Lande präsenten deutschen politischen Stiftung und – wie stets – mit zahlreichen Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft.

 

Die Reisegruppe mit der (japanischen) Direktorin von UNFPA

Foto: Die Reisegruppe mit der Direktorin von UNFPA (in der Mitte)

 

Nach fünf Tagen in Colombo – unterbrochen von einem Busausflug in die im zentralen Hochgebirge des Landes gelegene alte Königsstadt Kandy und dem Besuch einer Teeplantage – reisten die Teilnehmenden nordwärts mit dem Ziel Jaffna, der größten Stadt im tamilisch dominierten Teil der Insel. Beide Reisen waren eigentlich mit der noch aus der britischen Kolonialzeit stammenden Eisenbahn geplant, mussten aber auf Busreisen umgestellt werden. Bahnreisen in Sri Lanka kann man nicht vom Ausland aus buchen und Tickets müssen mindestens 14 Tage vor Reiseantritt gekauft werden, die Nachfrage nach Reisen mit der Bahn ist sehr hoch, insbesondere wenn der Reisetermin auf einen hohen Feiertag fällt. Wer sich einen Einblick in das Erlebnis einer Zugreise in Sri Lanka verschaffen möchte, kann sich den Film “By Train across Sri Lanka” auf YouTube ansehen (https://www.youtube.com/watch?v=s8VNJ88AFWw).

 

In Jaffna fanden weitere Gespräche mit hohen Militärs (Vertreter der dort noch stark präsenten Sicherheitskräfte), dem Chief Minister der nördlichen Provinz (vergleichbar etwa dem Amt eines Ministerpräsidenten) und Vertreterinnen und Vertretern der tamilischen Zivilgesellschaft statt. Hervorzuheben ist, dass alle Gesprächspartner/-innen, im Besonderen aber die Vertreter/-innen des Gastlandes, sich in ihren jeweiligen Gastgeberrollen sehr großzügig gerierten und die Teilnehmenden mit Getränken, Gebäck und allerlei Sorten von landestypischem Finger Food in einem Umfang bewirteten, der über den üblichen Rahmen eines Arbeitstreffens oftmals erheblich hinausging.

 

Wir versuchen an dieser Stelle ein bescheidenes und gewiss nur oberflächliches Fazit der Reiseeindrücke zu ziehen:


Im Jahr 2009 ging ein 26 Jahre anhaltender, grausamer Bürgerkrieg zwischen den beiden Hauptethnien des Landes, Singhalesen und den einen eigenständigen souveränen Staat anstrebenden Tamilen, zu Ende. Das Ende des Bürgerkrieges kam aber nicht durch Vermittlung der UN zustande, sondern ergab sich aus einem militärischen Sieg der Regierung über die tamilischen Aufständigen, insbesondere der LTTE (Tamil Tigers). Während man selbst in den ehemals stark umkämpften Gebieten nur noch relativ wenige Spuren der Auseinandersetzungen optisch wahrnehmen kann, sind die ungelösten Probleme in der jetzigen Post-Konflikt-Situation, vor allem das gegenseitige Misstrauen der beiden großen Ethnien nach wie vor gravierend und bergen sogar das Risiko einer erneuten Konflikteskalation. Dem von 2005 bis 2015 amtierenden, mit weitreichenden politischen Exekutivbefugnissen ausgestatteten Präsidenten Rajapakse wurde ein autokratischer Führungsstil, die sehr enge Anlehnung an China sowie nicht genügend Dialogbereitschaft und Engagement im Versöhnungsprozess vorgehalten. Im Jahr 2015 verlor er überraschend die Präsidentschaftswahlen und wurde vom jetzigen Amtsinhaber Sirisena abgelöst. Letzterer verdankte seinen Wahlsieg in erheblichem Maße der Unterstützung durch die tamilische, moslemische und christliche Bevölkerung. Die nach den Wahlen von 2015 entstandene Aufbruchstimmung und die in Sirisena gesetzten Hoffnungen sind jedoch nach einer Weile wieder verflogen. Ein Vertreter der EU-Delegation fasste dies mit den Worten zusammen: “The honeymoon is over.”

 

Die Reisegruppe auf dem Grundstück des UN Resident Coordinator

Foto: Die Reisegruppe auf dem Gelände des UN Resident Coordinator

 

 

Hier in Stichworten einige der “offenen Baustellen”, die zu bewältigen sind (die Aufzählung ist bei weitem nicht erschöpfend):

  • Zur Sicherstellung politischer Stabilität braucht Sri Lanka eine neue Verfassung, bei der die Frage der vertikalen Machtverteilung eine besonders sensible Rolle spielt; das in diesem Zusammenhang oft zu hörende Zauberwort lautet “Devolution”. Die Vokabel “Federalism” gilt als Unwort, sie wird von der singhalesischen Mehrheit im Lande mit “Separatism” gleichgesetzt. Eine erste politische Krise löste Präsident Sirisena am 26. Oktober 2018 mit der Absetzung des Premierministers Wickremesinghe und der Ernennung seines (Sirisenas) Vorgängers Rajapakse zum neuen Premierminister aus. Anschließend unternahm er den Versuch der Auflösung des Parlaments. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Akte ist nach weit verbreiteter Ansicht höchst umstritten.*
  • Die Menschenrechtslage des Landes lässt immer noch zu wünschen übrig; im Menschenrechtsrat der UN hatte Sri Lanka, um es mit vorsichtig gewählten Worten zu formulieren, keinen leichten Stand.
  • Der öffentliche Sektor Sri Lankas müsste verschlankt werden. Es gibt Dutzende von Ministerien, hierbei einige auch mit einem eher ungewöhnlichen Ressortzuschnitt (z.B. Ministry of Higher Education and Highways).
  • Besonders aufgebläht ist immer noch der ca. 300.000 Gehaltsempfänger umfassende Militärapparat. Dem Militär obliegen – dies wird im Grundsatz nicht bestritten – nach wie vor wichtige Aufgaben, hier vor allem die Beseitigung von Minen. Es mischt aber auch auf Feldern mit, die nicht unbedingt zu seinen genuinen Aufgaben gehören (z.B. der Betrieb von Hotels und landwirtschaftlichen Unternehmen, die Organisation von Whale-Watching-Tours für Touristen). Von Vertreter/-innen der Zivilgesellschaft wurde kritisiert, dass die Aktivitäten des Militärs im Agrarsektor die Wettbewerbschancen der kleinen Bauern massiv einschränken.
  • Landrückgabe, Rückführung Vertriebener in ihr früheres Zuhause und viele weitere unter dem Stichwort "Versöhnung” zusammenzufassende Aufgaben
  • Korruptionsbekämpfung
  • Abbau der Jugendarbeitslosigkeit
  • Eindämmung der Degradation landwirtschaftlich genutzter Böden und des Flächenverbrauchs; mit Besorgnis beobachtet FAO den immer enger werdenden Lebensraum des kleinen, noch frei lebenden Elefantenbestandes der Insel.
  • Investitionen in die Verbesserung der Infrastruktur auf breiter Front.

 

 

Man könnte diese Aufzählung um viele Punkte fortsetzen. Um mit einer positiven Note zu enden, seien abschließend ein paar Stichworte genannt, die einzelne Gesprächspartner/-innen als Chancen für Entspannung und mehr Harmonie zwischen den Volksgruppen erwähnten: Sport, Tourismus und evtl. auch die englische Sprache, ohne deren Kenntnis man im Tourismusgeschäft wohl rasch an Grenzen stieße. Mögen die in sie gesetzten Hoffnungen den Friedensprozess nachhaltig unterstützen.

 

 

VDBIO-Mitglied Wolfgang MünchVDBIO-Mitglied Monika Roeser

 

VDBIO-Mitglieder Monika Röser und Wolfgang Münch

 

 

*Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses am 16.12.2018 ging die Nachricht durch die Medien, dass Wickremesinghe wieder in sein Amt als Premierminister zurückgekehrt sei.

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