Wohin geht die Reise des VDBIO?

ein Beitrag von Kerstin Leitner

 

VDBI= seit 1976

Seit der Gründung des VDBIO hat es enorme geopolitische Veränderungen gegeben, die sich natürlich auch auf die internationalen Organisationen und ihre Mitarbeitenden auswirkten. Während es im Zeitalter des Kalten Krieges (1948-1989)  bei den multilateralen Organisationen, vor allem bei den Vereinten Nationen, darum ging, politisch zwischen den Blöcken neutral zu operieren und den Dialog zwischen den Mitgliedern der beiden Blöcke zu fördern, so ging es nach 1989 darum, sich global aufzustellen, um globale Agenden zu verfolgen: den Schutz der Menschenrechte, die Millennium Development Goals, das Verlangsamen des Klimawandels, die Eindämmung von Pandemien – um nur einige der Herausforderungen zu nennen. Multilaterale Organisationen wurden zu Befürworterinnen von kollektiver internationaler Zusammenarbeit, um diese Probleme in allen Ländern zu meistern. Nicht immer gab es einen internationalen Konsensus und 2015/16 kommt es zum offenen Bruch.

Einerseits einigten sich Anfang 2015 Regierungsvertreterinnen und -vertreter von fast 200 Ländern im Pariser Abkommen, den Klimawandel gemeinsam zu managen, und verabschiedeten später im Jahr die globale Agenda 2030 mit siebzehn Nachhaltigkeitszielen. Andererseits setzten sich in den Vereinigten Staaten, der einzigen Supermacht nach dem Kalten Krieg, Donald Trump und sein nationalistisches Denken durch. In dieser offenen Frontstellung gegenüber allen kollektiven Ansätzen in der internationalen Politik bleibt den multilateralen Organisationen bei der Bewältigung von Konflikten im Augenblick nur noch eine geringe Bedeutung.

 

Wie wird es weitergehen?

 

Die meisten internationalen Organisationen sind zwischenstaatlich. Heute hat die internationale Welt aber sehr viel mehr Akteure: Unternehmen, internationale NGOs, Medien, Wissenschaft und viele Menschen, die international agieren und ein internationales Leben führen. Die multilateralen Organisationen müssen sich also ein neues, größeres, kräftigeres Boot bauen, um die Stürme auf der internationalen See zu meistern. Dieser Neubau erfordert die Mitarbeit der Mitgliedsländer, aber auch von jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin. Es muss mitgedacht werden, wie es weitergehen kann, es müssen Vorschläge gemacht werden, die die Suche vorantreiben, es muss einen Arbeitsstil geben, der sich vehement allen bürokratischen Tendenzen widersetzt. Natürlich muss es klare und faire Verwaltungsabläufe geben. Aber wie oft wird auf eine Regel oder Vorschrift gepocht, wenn es tatsächlich um den Unwillen eines Kollegen oder einer Kollegin geht, eine Entscheidung zu treffen. 

 

Einige Organisationen haben sich schon für die Anhörung von nicht-staatlichen Akteuren geöffnet. Diese Öffnung muss von den Mitarbeitenden der Organisationen aufgegriffen werden. Das heißt nicht, man muss die Sichtweise dieser anderen Akteure (NGOs, Industrieverbände, Medienberichte) übernehmen, aber man muss sie kennen und berücksichtigen. Mit anderen Worten, es muss zu einem intensiveren und transparenteren Austausch kommen, als er bisher gegeben ist. Denn nur so wird es gelingen, auszutarieren, welche Herausforderungen multilateral und welche national oder bilateral angegangen werden. In der Sache muss der Fokus für die VN zum Beispiel immer auf globalen und multilateralen Lösungen liegen. Eine deutlichere Differenzierung im operativen Bereich zwischen allen Akteuren ist dringend geboten.

 

Die Arbeit in den multilateralen Organisationen wird komplexer werden. Die Länder der Dritten Welt sind selbstbewusster und unabhängiger geworden. Ihre Vertreterinnen und Vertreter werden deshalb auch selbstbewusster auf die Arbeit der Organisationen Einfluss nehmen wollen, z.B. auf Stellenbesetzungen. Kurzzeitverträge, die u.a. die Rotation ermöglichen sollen, werden auch weiterhin umfangreich genutzt werden – mit der entsprechenden beruflichen Unsicherheit für die Mitarbeitenden. Die Auswirkungen auf die Kontinuität und institutionelle Stabilität ist noch nicht völlig ausgelotet. Hier sollte sich der VDBIO engagieren. Die ungeklärte Frage ist doch: Wie viele Langzeitmitarbeitende braucht eine Organisation und auf welchen Stellen, damit kontinuierliche und sachgerechte Arbeit der Organisationen über einen längeren Zeitraum kostengünstig gewährleistet ist?

In vielen Organisationen arbeiten deutsche Bedienstete in den Personalabteilungen; vielleicht könnte eine informelle VDBIO-Projektgruppe zur Klärung dieser Frage beitragen und einen Beitrag zur Synchronisierung zwischen den Organisationen leisten. Die Vereinbarkeit von geografischen Personalschlüsseln und Qualifikation ist zunehmend komplizierter. Vor kurzem wurden Umfrageergebnisse bekannt, dass es in den VN-Organisationen einen latenten Rassismus gäbe. Auch dies sollten deutsche Mitarbeitende im Blick behalten und im Bereich ihrer Möglichkeiten verhindern.

 

Globalisierung stellt an die internationalen Organisationen die Aufgabe, sich in effektiv supranationale bzw. globale Organisationen zu verwandeln. Letzteres gilt insbesondere für die VN, aber auch für viele andere, wie z.B. die EU und die NATO. Diese multilateralen Organisationen müssen zunehmend eine globale Perspektive berücksichtigen und den Ball, wenn nötig, an die VN weiterspielen. Aber dies ersetzt nicht nationales Handeln. Im Gegenteil: Was der Neoliberalismus und die bisherige Globalisierung uns gebracht haben ist, dass alle Regierungen verantwortlich sind für die Verhältnisse in ihren Ländern. Nicht alle Länder haben Tritt gefasst und haben die Kapazitäten, die Herausforderungen der Zeit zu meistern. Wie wir, die internationale Gemeinschaft, im Falle von failed states handeln sollten, ist eine ungelöste Aufgabe. Vielleicht möchten sich einige VDBIO-Mitglieder dazu einmal ein paar Gedanken machen?

Globalisierung bis Think Tank

Globalisierung heißt Vernetzung über nationale und kontinentale Grenzen hinweg. Die modernen Informationstechnologien können dabei von ungeheurem Nutzen sein. Aber sie erfordern neue Kompetenzen und Kenntnisse. Sie erfordern ein ständiges Abwägen von Nutzen und Kosten. Sie haben Auswirkungen auf die Büropräsenz der Mitarbeitenden, auf die Standortfrage der Arbeitsplätze. Sie erfordern die ständige Überprüfung, dass alle, die an einem Netzwerk teilnehmen sollen, adäquat angeschlossen sind. Sowohl innerhalb der Organisationen als auch in den Außenkontaktpunkten. Dabei werden die Wahl und Handhabung der digitalen Plattformen in Zukunft darüber entscheiden, ob die multilateralen Organisationen ihre Legitimität bei den Bevölkerungen erhalten und ihre globale Reichweite stärken. Die Kommunikation zwischen einer großen Zahl von Teilnehmenden über elektronische Plattformen und soziale Medien wird in Zukunft für die allgemeine Akzeptanz entscheidend sein und Regierungsvertreterinnen und -vertreter müssen diese Diskussionen nach kritischer Durchsicht in ihren Beschlüssen aufgreifen. Auch hier könnte eine VDBIO-Projektgruppe Anregungen geben.

 

Die globale Bevölkerung ist jung. Zwar wächst auch die Zahl der Älteren, aber aufs Ganze sind sie nicht diejenigen, die über die Zukunft und das Wohlergehen der Weltbevölkerung entscheiden werden. Das heißt, tatsächlich entscheiden die Älteren heute über Zukunftsfragen, aber sie tun es häufig durch Inaktivität und Zögern. Die jungen Leute begehren auf. Wir sehen es in der globalen Bewegung Fridays for Future. Aber natürlich auch in vielen anderen Aktivitäten, Foren, Kampagnen. Die multilateralen Organisationen müssen sich den Anliegen der jungen Generation systematisch öffnen. Es gibt den Vorschlag UN Youth zu schaffen. Sollten wir als VDBIO dies unterstützen?

 

Grafik BRD in UN

Deutschland wurde erst spät ein Mitglied in den Vereinten Nationen. In anderen Organisationen, denen die Bundesrepublik Deutschland früher beitrat, hielten sich die deutschen Vertreterinnen und Vertreter zurück und Stellen wurden nur zögerlich besetzt, zum Teil, weil es keine Bewerberinnen oder Bewerber gab. Heute gibt es viele Deutsche, die international arbeiten möchten, auch für multilaterale Organisationen. Oft machen sie sich nicht klar, dass sie dazu gegen Konkurrenz aus der ganzen Welt antreten müssen. Nicht immer setzen sie sich dann durch. Was braucht man heute an Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen, um sich erfolgreich zu bewerben? Vielleicht eine Aufgabe für den VDBIO, bei einer Profilierung der Erfordernisse mitzuarbeiten?

 

In den meisten multilateralen Organisationen gibt es eine ausreichende Zahl deutscher Mitarbeitender. Die Frage ist eben nicht mehr, wie viele, sondern wo sollten sich deutsche Bewerberinnen und Bewerber bemühen? Welche Positionen sind für die jeweilige Organisation strategisch wichtig? Welche Kandidatinnen oder Kandidaten könnte man dafür aus Deutschland mobilisieren? Über das Netzwerk der VDBIO-Mitglieder könnte man ein Informationsnetz schaffen, um freiwerdende Stellen frühzeitig zu erkennen, und dann staatliche und nicht-staatliche Stellen benachrichtigen sowie individuelle Kandidatinnen oder Kandidaten kontaktieren.

 

Zusammenfassend möchte ich meine Gedanken abschließen mit einigen persönlichen Eindrücken. Ich war von 1975-2005 bei UNDP und der WHO aktiv. Überall wurde den Vereinten Nationen viel wohlwollende Anerkennung und Respekt gezollt. Selbst in New York konnte ich diese Erfahrung machen. Ich habe den Eindruck, dass dies nicht notwendigerweise mehr der Fall ist. Ich begegne vielen Menschen, die ihre Unkenntnis über die Vereinten Nationen hinter ihrer Kritik an ihr verbergen. Ich sehe dies als ein potentiell großes Problem für den Multilateralismus an. Deshalb müssen wir uns alle, ob aktive Mitarbeitende oder im Ruhestand, damit beschäftigen, wie wir Wissenslücken füllen können, um den Menschen die Rolle und Bedeutung multilateraler Organisationen nahezubringen. Denn nur daraus kann dann breite Akzeptanz und Anerkennung wie auch politische Legitimität entstehen.

 

Grafik, Rakete fliegt zu den Sternen
Worum geht es?

 

In den multilateralen Organisationen sind wir von vielen tagespolitischen Auseinandersetzungen mindestens einen Schritt entfernt. Aus dieser Distanz gelingt es uns meistens, den Wald zu sehen und nicht nur die Bäume. Gleichzeitig ist es leicht, sich manchmal in den Elfenbeinturm einer aufgeklärten Bürokratie zurückzuziehen. Wir müssen uns also schützen vor der Gefahr der Abschottung und gleichzeitig unsere Stimme so erheben, dass sie von den Mächtigen dieser Erde gehört und dann von ihnen auch ernst genommen wird. Eine Stärkung der internationalen Organisationen entspricht nicht notwendigerweise dem heutigen Zeitgeist, aber er wird sich wandeln. Und für diesen Wandel müssen die Mitarbeitenden bereit sein. Der VDBIO kann dabei eine wichtige Rolle übernehmen.

 


Dr. Kerstin Leitner war von 1975 bis 2003 für UNDP in Afrika, im arabischen Raum, China und New York tätig. Von 2003 bis 2005 war sie Assistant Director-General bei der WHO in Genf. Sie hat Memoiren unter dem Titel "When only the Sky is the Limit" veröffentlicht, die auf Deutsch mit dem Titel "Als moderne Nomadin um die Welt" im Herder Verlag erschienen sind.

Website von Kerstin Leitner: https://kerstinleitner.net/

Kerstin Leitner

 

Grafik "Ich will mitmachen"

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