Buchrezension: Agenten des weltweiten Multilaterialismus. Die Sonderorganisationen im System der Vereinten Nationen

Buchcover: AGENTEN DES WELTWEITEN MULTILATERALISMUS

Wenn man nur einen flüchtigen Blick auf den Buchtitel wirft, könnte man auf den ersten Eindruck denken, es gehe um Spionage. Aber ein zweiter Blick auf den Untertitel sorgt für Klarheit, um was es geht. Der Autor verschafft dem Leserkreis einen komprimierten und trotzdem tief ins Detail gehenden Überblick über die 15 Sonderorganisationen des UN-Systems. Zu Beginn erläutert er die Abgrenzung der Sonderorganisationen von den im Englischen als “Special Funds and Programmes” bezeichneten UN-Nebenorganen, die ganz überwiegend, wenn auch nicht alle, Teile des UN-Generalsekretariats bilden (z.B. UNDP, UNHCR, UNICEF). Außerdem stellt er einige andere Organisationen vor, die mit der UN-Famile eng zusammenarbeiten, zum Teil auch am “common system” (Gemeinsames System der Vereinten Nationen für Gehälter, Zulagen und andere Leistungen) teilnehmen, aber nicht als Sonderorganisationen zu qualifizieren sind, da ihr Beziehungsstatus zu den UN nicht nach den Art. 57 und 63 der UN-Charta hergestellt wurde (z.B. IAEA, IOM, WTO). Diese Klarstellung verhilft denjenigen zu einem besseren Verständnis, die noch nicht in alle Verästelungen des UN-Systems vorgedrungen sind.

 

Im Hauptteil des Buches werden die Sonderorganisationen in drei Gruppen kategorisiert:

  1. Als die “Großen Fünf” bezeichnet Hüfner FAO, ILO, UNESCO, UNIDO und WHO. Das Prädikat “groß” wählt der Autor als Kennzeichnung für die Breite der Mandate der Organisationen, nicht im Hinblick auf ihre Personal- und Finanzstärke.
  2. Sodann folgt eine Skizzierung der Aufgaben der “technischen” UN-Sonderorganisationen ICAO, IMO, ITU, UNWTO, UPU, WIPO und WMO, deren Mandate im Vergleich zu denjenigen der “Großen Fünf” enger gefasst sind.
  3. Zuletzt folgt eine Darstellung der Rollen der währungs- und finanzpolitischen Sonderorganisationen. Dies sind die Weltbankgruppe, IMF und IFAD. Im Unterschied zu den zuvor genannten Organisationen basiert ihre Finanzierung nicht (und auch nicht teilweise) auf Pflichtbeiträgen ihrer Mitgliedstaaten, sondern auf Eigenfinanzierung bzw. auf Wiederauffüllungsrunden.

 

Jeweils zu Beginn der Vorstellung einer Sonderorganisation stehen ein kurzer historischer Abriss und die Aufführung der Kernelemente ihres Mandats. Anschließend werden der spezifische organisatorische Aufbau und Arbeitsweise der Organisation, Budget und Budgetaufstellungsverfahren, Höhe der Pflichtbeiträge gemäß Beitragszahlungsskala und Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten erläutert. Diese Angaben werden mit graphischen Darstellungen und tabellarischen Zahlenwerken (inkl. der deutschen Beiträge) über einen Zeitraum von 30 Jahren konkretisiert. Die eingehende Darstellung der Finanzen der verschiedenen Organisationen sollte nicht in dem Sinne verstanden werden, dass der Verfasser ein über Jahrzehnte gehegtes Steckenpferd weiter “hegt und pflegt”. Vielmehr kommt es ihm darauf an, anhand von Zahlen zu Personalstärke, Budgetvolumen und Budgetentwicklung die Auf- und Abwärtsbewegungen der Organisationen über einen längeren Zeitraum hervorzuheben und aufzuzeigen, was für Rückschlüsse diese Indikatoren zum politischen Gewicht und Einfluss einer Organisation als Player des Multilateralismus ermöglichen.

 

Hilfreich für die an einer einzelnen Organisation stärker interessierten Leser/-innen sind die Hinweise zu vertiefender Literatur, zu den Webseiten der Organisationen und zu den Zuständigkeiten des jeweiligen federführenden Ressorts der Bundesregierung (insgesamt neun Ressorts).

 

Wenn man sich das vielseitige wissenschaftliche und publizistische Engagement des Verfassers vor Augen führt, darf man wohl sagen, dass ihm eine Sonderorganisation besonders am Herzen liegt: UNESCO. Hüfner ist u.a. Ehrenmitglied in der deutschen UNESCO-Kommission. Gleichwohl erliegt er nicht der Versuchung, dieser Organisation mehr Raum zuzubilligen als den anderen.  Allen wird – je nach Komplexität – annähernd das gleiche Maß an Aufmerksamkeit zuteil, im Durchschnitt  elf bis zwölf Seiten. Lediglich der Weltbankgruppe werden 24 Seiten Text zugestanden, aber das ist auch gut verständlich und notwendig, handelt es sich hierbei doch um mehrere Organisationen, die unter einem Dach vereint sind.

 

Im Schlusskapitel weist der Autor auf eine ihm wichtige Botschaft hin. Anknüpfend an den Bericht des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres “Our common Agenda” von 2021 hebt Hüfner hervor, dass die Ziele der Agenda für eine nachhaltige Entwicklung nur erreicht werden können durch eine enge Kooperation sämtlicher Mitglieder der UN-Familie. Und dazu müssen alle auf einem stabilen finanziellen Fundament stehen, das nicht auf die Zahlung freiwilliger Beiträge gestützt ist und erst recht nicht auf solche, die zweckgebunden sind. Diesen Tenor in Hüfners Veröffentlichungen kennt man schon länger, es ist sozusagen sein “ceterum censeo”, dem viele Kolleg/-innen zuzustimmen bereit sein dürften.

Rezension veröffentlicht im Juni 2023


 

Wolfgang Münch

Zum Verfasser der Rezension:
Wolfgang Münch arbeitete von 1991 bis 1995 bei der Ständigen Vertretung UN New York (Arbeitsschwerpunkte: 5. Ausschuss der Generalversammlung, ACABQ) und war 1995 kurzzeitig Leiter des UN-Referates im Bundesministerium der Finanzen. Von 1996 bis 2005 war er Inspektor in der Gemeinsamen Inspektionseinheit des UN-Systems in Genf und von 2006 bis 2008 bei der Botschaft Nikosia (Wirtschaft und Finanzen, UNFICYP). Seit 2016 ist er im Ruhestand.
Kontakt: wmunch(at)gmx.de