"Bei der Frauenfrage geht es um mehr als die Vereinbarkeit von Beruf und Familie"
Interview mit Botschafterin Antje Leendertse, Ständige Vertreterin bei den Vereinten Nationen und den anderen Internationalen Organisationen in Genf
Botschafterin Antje Leendertse ist seit Februar 2017 in Genf. Sie war zuvor Leiterin des Arbeitsstabs OSZE-Vorsitz 2016 und Beauftragte der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle im Auswärtigen Amt. Neben Zuständigkeiten für Osteuropa, den Kaukasus, Zentralasien und den Westlichen Balkan war sie auch als Stellvertretende Sprecherin und im Pressereferat des Auswärtigen Amtes tätig. Sie trat 1990 in den Auswärtigen Dienst ein und war an den Auslandsstandorten Helsinki, London und Moskau im Einsatz.
Gender ist ein Querschnittsthema in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, und auch für den UN Generalsekretär sind Genderfragen zentral. Welche Rolle spielt Gender in Ihrer persönlichen Arbeit zur Umsetzung der SDGs?
Wir haben natürlich auch ein Querschnittsthema daraus gemacht. Für uns sind die SDGs in allen Bereichen, die wir als Vertretung bearbeiten, die Richtschnur, das Netz, das sich über alles legt und auch die Motivation. Genderfragen sind genau wie Menschenrechte ein „cross-cutting issue“, das zu jedem der nachhaltigen Entwicklungsziele gesondert diskutiert werden muss. Gender muss bei jedem SDG mit einbezogen werden, damit wir die Ziele erreichen können, die wir uns gesetzt haben. Das gilt gerade hier auf dem internationalen Parkett in Genf. In vielen Bereichen sehen wir, dass Gender auch ein Katalysator sein kann, ein Booster für die Zielerreichung. Das betrifft Themen wie Gesundheit und Frieden aber auch den Wohnungsbau. Durch alle SDGs zieht sich die Frage: „Wie können wir Teilhabe von Frauen erreichen?“.
Eine persönliche Frage: Wissen Sie noch, was Sie einmal werden wollten, als sie klein waren? Konnten Sie sich diesen Traum erfüllen?
Ich wollte damals Journalistin werden. Das konnte ich teilweise erfüllen, ich habe nämlich sehr lange im Auswärtigen Amt im Pressereferat gearbeitet als Ansprechpartner für Journalisten.
Wie sind Sie darangegangen, Ihre Karriere aufzubauen und den Arbeitsplatz zu finden, der am besten zu Ihnen passt?
Ich habe sehr lange meine persönlichen Interessen und nicht vermeintliche Karrierechancen verfolgt. Ich glaube, da waren wir eine andere Generation. Bei meinen Studienfächern und bei meinen Auslandsaufenthalten stand nicht die Karriere im Vordergrund, sondern das Interesse daran, die Welt zu entdecken. Dass ich das im Auswärtigen Amt zum Beruf machen konnte, war ein großes Glück. Ich bin immer noch sehr froh, im Auswärtigen Amt zu arbeiten. Wir haben so viele Möglichkeiten im Auswärtigen Dienst, dass eigentlich jeder nach seiner Façon glücklich werden kann – die, die Journalistin werden wollte oder auch die, die eine Rechtsanwaltskarriere machen wollte. Der Beruf hält für alle etwas bereit.
Gab es auf Ihrem Weg Schwierigkeiten, die Sie überwinden mussten? Wie sind Sie damit umgegangen?
Wenn man ins Ausland versetzt wird, ist das insbesondere schwierig für Partner und Familie, die sich weitgehend anpassen müssen. Für die mit ausreisenden Partner ist es sehr schwierig, weiterzuarbeiten und weiterzuverfolgen, was sie sich selbst für ihre Karriere vorgestellt hatten. Nur wenige der Partner, die in Deutschland arbeiten könnten, schaffen es im Ausland, weiterhin berufstätig zu sein. Deshalb sind bei uns die Zahlen nicht besonders erfreulich: Viel weniger Frauen, die im Auswärtigen Dienst arbeiten, sind verheiratet oder haben Partner, die einer Berufstätigkeit nachgehen. Das ist ganz klar ein Nachteil, auch bei der Nachwuchsgewinnung. Wir tun deshalb viel, um junge Frauen davon zu überzeugen, dass wir ein Arbeitgeber sind, bei dem es möglich ist, die Anliegen der Partner und den Wunsch nach Familie auch zu verfolgen und nicht nur die Karrierechancen.
Und wie ist es Ihnen gelungen, Familie und Beruf zu verbinden?
Ich denke, da hatte ich großes Glück, dass ich einen Mann habe, der mich die ganze Zeit unterstützt hat und der für die Familie den Hauptteil der Verantwortung übernommen hat. Das ist sowohl aus nationaler als auch internationaler Perspektive immer noch ein ungewöhnliches Modell.
Hatten Sie in Ihrer Laufbahn Rollenmodelle, oder Mentoren, die Sie inspiriert und unterstützt haben?
Das hat eine große Rolle für meine Generation gespielt. Die wenigen Frauen waren wie Leuchttürme. Im Auswärtigen Amt hatten wir vor fünf Jahren eine Staatssekretärin, die viel dafür getan hat, dass die Frauen im Auswärtigen Dienst ein Modell hatten, das sie vorher nicht hatten. Aber auch international, z.B. bei der UNO, waren Rollenmodelle wichtig: ich nenne Angela Kane oder Louise Fréchette. Wir haben sie dafür bewundert, wie sie ihre Aufgaben bewältigt haben, wie sie sich auch nach außen dargestellt haben. Das war für uns stilbildend, aber es gab eben nur wenige. Heute gibt es viele Personen, Männer wie Frauen, die der jungen Generation als Vorbild dienen können. Ein gutes Beispiel sind die International Gender Champions, die diesem wichtigen Thema ein Gesicht geben.
Und welchen Rat würden Sie den Frauen der heutigen mid-career Generation geben für ihren Karriereweg?
Große Ermutigung! Mit einer ordentlichen Portion Engagement aber auch Organisationstalent kann man die verschiedenen Anforderungen unter einen Hut bringen. Man sollte sich immer auch des Kontextes bewusst sein, in dem man arbeitet, und sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzen. Das gilt für alle, aber für Frauen ganz besonders. Man muss sich die spezifischen Probleme vergegenwärtigen und auch mit anderen darüber sprechen. Vor allem sollte man nicht glauben, man sei die einzige, die Schwierigkeiten dabei hat, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das betrifft ja auch viele Männer. Ich glaube auch, man sollte die Gender- oder Frauenfrage nicht auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduzieren. Das wäre unfair gegenüber den jungen Männern, die vor den gleichen Problemen stehen. Auch die vielen alleinstehenden Frauen, die keine Familie haben, stehen vor besonderen Herausforderungen. Es reicht zwar nicht, die Frauenfrage darauf zu reduzieren, mehr für Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun, aber es wäre natürlich schon ein großer Schritt, wenn wir hier weiter wären.
Ihre Botschaft zum Internationalen Frauentag?
Ich freue mich natürlich, wenn ich Blumen bekomme. Aber Frauentag sollte eigentlich jeden Tag sein. Viele Männer haben das auch schon verstanden.
Vielen Dank für dieses Gespräch!
Interview: Dr. Viviane Brunne, VDBIO-Vorsitzende
(veröffentlicht am 6. März 2018)