50 Jahre deutsche VN-Mitgliedschaft – Über 70 Jahre deutsche Mitarbeit im VN-System
In diesem Jahr feiert Deutschland offiziell seine 50jährige Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen (VN). Es ist der 18. September 1973, als die beiden deutschen Staaten (German Democratic Republic und Federal Republic of Germany, wie sie sich in den VN nannten) gemeinsam und gleichzeitig als 133. und 134. Mitglied in die VN aufgenommen wurden. Bis zur deutsch-deutschen Vereinigung 1990 gab es siebzehn Jahre lang zwei deutsche Staaten in der UNO und auch in zahlreichen Sonderorganisationen sowie Spezialorganen und -programmen der VN.
Bei der Aufzählung der gegenwärtigen VN-Mitgliedstaaten in einer Fußnote im United Nations Handbook 2022-23 heißt es: „Durch den Beitritt der DDR in die Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1991 vereinigten sich die beiden deutschen Staaten zu einem souveränen Staat. Seitdem handelt die Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen unter dem Namen Germany“. Das vereinte Deutschland ist also erst seit 33 Jahren VN-Mitglied.
Doch auch diese Darstellung ist ungenau, denn der Begriff „Vereinte Nationen“ wird üblicherweise nicht ausschließlich auf die Hauptorgane wie unter anderem Sicherheitsrat, Generalversammlung, Wirtschafts- und Sozialrat und Sekretariat eingegrenzt, sondern schließt auch deren VN-Spezialorgane und –programme sowie die gegenwärtig siebzehn VN-Sonderorganisationen mit ein.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinten Nationen lassen sich zeitlich in vier Phasen unterteilen, nämlich in
- Phase 1: Deutschland als „Objekt“ der VN (1945-1949),
- Phase 2: Deutschland als „Quasi-Mitglied“ (1950-1973),
- Phase 3: Die beiden deutschen Staaten in den VN (1973-1990) und
- Phase 4: Das vereinigte Deutschland in den VN (1990 bis heute).
In diesem Jahr sind zahlreiche Aktivitäten und Publikationen zu diesem Themenkomplex zu erwarten. Auch der Autor dieses Beitrages wird sich mit einer Publikation daran beteiligen . Da die beiden Phasen 1 und 2 leicht in Vergessenheit geraten, geht es an dieser Stelle um die Jahre 1945- 1973.
Phase 1: Deutschland als „Objekt“ der Vereinten Nationen (1945-1949)
Nach der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg zumindest in Europa beendet. Es sollte noch drei weitere Monate dauern, bis dieser Krieg nach zwei Atombomben-Abwürfen in Hiroshima und Nagasaki auch in Asien Ende August 1945 beendet wurde. Bereits am 26. Juni 1945 wurden in San Francisco die Verhandlungen zur Gründung der VN mit fünfzig Staaten abgeschlossen und die VN-Charta zur Ratifizierung ausgelegt. Nachdem die fünf Ständigen Mitglieder sowie die Hälfte der Gründerstaaten die Charta ratifiziert hatten, erfolgte am 24. Oktober 1945 die Gründung der VN.
Zu den dringlichsten Nachkriegsproblemen im kapitulierten Deutschland gehörte ohne Zweifel die Frage der Rückkehr der Zwangsarbeiter. Es handelte sich um insgesamt etwa 8,5 Mio. displaced persons. Es waren zwei VN-Institutionen, welche sich in engster Zusammenarbeit mit den alliierten Besatzungsbehörden um diese Menschen kümmerten. Bereits 1943 gründeten die Alliierten UNRRA (UN Relief and Rehabilitation Administration) und am 15. Dezember 1946 beschloss die 1. VN-Generalversammlung die Gründung der IRO (International Refugee Organization).
Ebenfalls im Dezember 1946 wurde von der Generalversammlung das VN-Weltkinderhilfswerk (UNICEF) gegründet, das vor allem Kindern und Jugendlichen in den Staaten helfen sollte, die als „Opfer von Aggressionen“ galten. Schon im folgenden Jahr wurden auch deutsche Kinder betreut. UNICEF unterhielt bis Mai 1952 in Berlin-Dahlem eine zentrale Verwaltungsstelle. Danach wurde aus dem “Nehmer” ein “Geber”. Seitdem hat sich die am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland mit freiwilligen Finanzbeiträgen an der weltweiten Arbeit von UNICEF beteiligt.
Auch auf der politischen Ebene behandelten die VN Probleme des geteilten Deutschland. 1948/1949 befasste sich der VN-Sicherheitsrat mit der Berliner Blockade durch die Sowjetunion, die jedoch zwei Vetos einlegte und damit eine Entscheidung blockierte. Die Außenminister der drei westlichen Alliierten und der Sowjetunion einigten sich jedoch am 4. Mai 1949, die Blockade durch ein Übereinkommen zu beenden.
Am 5. November 1951 forderten die drei westlichen Alliierten auf Veranlassung der Bundesregierung den VN-Generalsekretär auf, die Prüfung der Bedingungen für eine freie Wahl in ganz Deutschland auf die Tagesordnung der 6. VN-Generalversammlung zu setzen. Am 20. Dezember 1951 verabschiedete die VN-Generalversammlung eine Entschließung zur Errichtung einer Kommission, welche die Bedingungen für „wirklich freie und geheime Wahlen“ in ganz Deutschland prüfen sollte. Während die eingesetzte Kommission ihre Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) aufnehmen konnte, wurde ihr der Zutritt in die DDR einschließlich Berlin (Ost) verweigert, so dass die Kommission ihre Arbeit einstellen musste.
Bereits im November 1949 beschlossen die westlichen Alliierten im Petersberger Abkommen, die Mitarbeit der Bundesregierung in internationalen Organisationen zu ermöglichen. Im September 1950 wurden der Bundesregierung weitergehende außenpolitische Befugnisse übertragen.
Phase 2: Die Bundesrepublik Deutschland als „Quasi-Mitglied“ (1950-1973)
Ein Antrag auf Aufnahme in die VN kam zu Zeiten des Kalten Krieges für die Bundesrepublik Deutschland nicht in Frage, da klar war, dass die Sowjetunion ihre erforderliche Zustimmung nach Artikel 4 der VN-Charta nur dann geben würde, wenn gleichzeitig auch der andere deutsche Staat aufgenommen würde. Die VN-politische Richtschnur war damit deutlich vorgeschrieben gewesen: Keinen eigenen Antrag auf VN-Mitgliedschaft stellen und mit Hilfe der im Sicherheitsrat mit dem Veto-Recht ausgestatteten Westmächte gegebenenfalls erfolgende Anträge der DDR auf Mitgliedschaft verhindern.
Aber die Bundesregierung hat sich in den frühen 1950er Jahren erfolgreich um eine Mitgliedschaft in allen damals existierenden Sonderorganisationen (Specialized Agencies) der VN bemüht. Es begann bereits am 10. November 1950 mit der Mitgliedschaft in der VN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO). Es folgten 1951 am 19. Mai die Weltgesundheitsorganisation (WHO), am 12 Juni die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und am 11. Juli die VN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Bis 1955 gab es die Beitritte zu fünf weiteren Sonderorganisationen. Damit war die Bundesrepublik Deutschland allen damals existierenden Sonderorganisationen beigetreten. Mit diesen Mitgliedschaften war zugleich das Recht verbunden, an den VN-Weltkonferenzen teilzunehmen.
Entscheidender Grund für die frühe Mitgliedschaft in den Sonderorganisationen war, unter allen Umständen eine Mitgliedschaft und damit eine völkerrechtliche Anerkennung des anderen deutschen Staates zu verhindern. Denn für die Bundesrepublik Deutschland galt der Anspruch, für Deutschland als Ganzes zu sprechen. Dieser Anspruch wurde sehr deutlich durchgesetzt.
Ziel war es außerdem, jegliche andere Form einer Mitarbeit der DDR an der Arbeit der Sonderorganisationen auszuschließen. In offiziellen Schriftstücken der Sonderorganisationen musste folglich eine terminologische Aufwertung der DDR verhindert werden. Im Verbund mit den westlichen Alliierten wurden Visa-Anträge von DDR-Bürger/-innen zu Konferenzen der Sonderorganisationen abgelehnt. Auch wurde darauf geachtet, dass offizielle DDR-Dokumente nicht auf Veranstaltungen der Sonderorganisationen verteilt wurden, und es gelang der BRD, die Sonderorganisationen daran zu hindern, für bestimmte Aktivitäten freiwillige Finanzbeiträge der DDR entgegenzunehmen und gegebenenfalls eine Rückzahlung durchzusetzen.
Darüber hinaus bemühte sich die Bundesregierung erfolgreich, über ein finanzielles Engagement näher an die Hauptorgane der VN zu gelangen. Bereits 1952 begann die Bundesregierung, sich mit freiwilligen finanziellen Beitragsleistungen unter anderem für das Erweiterte VN-Programm für Technische Hilfe (UNEPTA), UNICEF und das VN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) zu beteiligen. Dieses Finanzengagement für überwiegend freiwillig finanzierte Spezialorgane sollte in den 1960er Jahren deutlich ansteigen, nämlich von 2,73 auf 43,66 Mio. US-Dollar in den Jahren 1960 bis 1973.
Darüber hinaus engagierte sich die Bundesregierung finanziell an mehreren Einzelaktionen. 1956 beteiligte sie sich an der Räumung des Suez-Kanals mit Krediten in Höhe von 1 Mio. US-Dollar. 1960 trug sie rund 3 Mio. US-Dollar zum zivilen Kongo-Fonds bei und beteiligte sich 1962/1963 an der VN-Anleihe zur Finanzierung der VN-Friedensoperationen mit insgesamt 12 Mio. US-Dollar.
Auch auf der politischen Ebene engagierte sich die Bundesregierung stärker. Im Oktober 1952 wurde die Ständige Beobachtermission der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen zunächst in New York und im folgenden Jahr auch in Genf eingerichtet.
1955 erfolgte durch die sogenannte Hallstein-Doktrin eine noch schärfere Gangart. Danach wurde bei jedem Versuch, die DDR diplomatisch anzuerkennen, der sofortige Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland angedroht.
Der Politikwissenschaftler Ernst-Otto Czempiel fasst in seinem Buch „Macht und Kompromiss. Die Beziehungen der BRD zu den Vereinten Nationen 1956-1970“ die Rolle der Bundesregierung kritisch wie folgt zusammen: „Die Bundesrepublik war 1955 das aktivste Nichtmitglied, und zwar in des Wortes doppelter Bedeutung. Ihre Aktivität war groß, aber sie wurde nicht durch die internationale Organisation ausgelöst, sondern durch die DDR. Die war dementsprechend auf die Deutschlandpolitik ausgerichtet, nicht auf die Politik der Vereinten Nationen, war in einem prinzipiellen Sinne sogar gegen die Maximen dieser Politik orientiert“.
Eine Änderung sollte erst Anfang der 1970er Jahre eintreten, als die Bundesregierung unter Willy Brandt die Konzeption einer neuen Ostpolitik über ein Bündel von untereinander verknüpften Verträgen realisierte. Dazu gehörte auch die VN-Mitgliedschaft der beiden deutschen Staaten, die gemeinsam vor 50 Jahren erfolgte.
Klaus Hüfner ist VDBIO-Mitglied, AK Berlin, Autor zahlreicher Bücher zu den VN und insbesondere zum Finanzierungssystem der VN. Er ist außerdem Universitätsprofessor a. D. (Freie Universität Berlin), Ehrenpräsident der Weltföderation der UN-Gesellschaften (WFUNA), Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), Ehrenmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission und Ehrenvorsitzender des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit.