Ursula Mueller - inspirierende Frauen - VDBIO

 

"Niemals aufgeben und Freude haben."

 

Interview mit Ursula Müller, Beigeordnete Generalsekretärin und stellvertretende Nothilfe-Koordinatorin der Vereinten Nationen, Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA)

Ursula Müller wurde vom UN-Generalsekretär António Guterres ernannt und trat ihr Amt im März 2017 an. Sie schaut auf eine über 30-jährige internationale Karriere zurück, in der die Lösung vielfältiger globaler Aufgaben und Fragen der Entwicklungsfinanzierung im Mittelpunkt standen. Von 2014 bis 2017 arbeitete sie als deutsche Exekutivdirektorin bei der Weltbank. Sie war dort verantwortlich für Strategieentwicklung und Finanzfragen und machte sich für eine engere Zusammenarbeit zwischen der Weltbank und den Vereinten Nationen stark.

 


 

Gender ist ein Querschnittsthema der Agenda für Nachhaltige Entwicklung. Welche Rolle spielen Genderthemen in Ihrer täglichen Arbeit? Wie kann die Arbeit an Genderthemen ein Vehikel sein, um die Entwicklungsagenda insgesamt zu befördern?
UN-Generalsekretär António Guterres hat zu Beginn seiner Amtszeit seine sogenannte Gender Parity Strategy angekündigt. Es ist seine Priorität, dass Frauen paritätisch in Führungs- und Entscheidungspositionen im Top-Management der Vereinten Nationen vertreten sind. Die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen ist der erste Schritt, um ihnen mehr Teilhabe und Einfluss zu ermöglichen. In meiner Arbeit als stellvertretende Nothilfekoordinatorin der Vereinten Nationen bin ich mit humanitären Situationen aufgrund von Krisen, Konflikten, Dürren und Vertreibung befasst, um dort die humanitäre Hilfe zu organisieren und zu koordinieren, und ich stelle fest, dass Frauen und Kinder in diesen humanitären Situationen anders betroffen sind als Männer. In Syrien, im Jemen und bei den Rohingya, die aus Myanmar vertrieben wurden, überall sind Frauen anders betroffen. Was die Erreichung und Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele betrifft, ist ganz klar, dass es keine nachhaltige Entwicklung ohne Beteiligung von Frauen und Männern gibt. Investitionen in Bildung, Gesundheit, ökonomische Teilhabe von Mädchen und Frauen sind zentral, um die SDGs zu erreichen.

 

Erinnern Sie sich noch, was Sie als Kind werden wollten? Konnten Sie diese Träume verwirklichen? 
Ich wollte immer Erfinderin werden. Ich habe in meinen vielen beruflichen Stationen Gelegenheit gehabt, innovativ zu sein und Lösungen zu finden. Mit 16 hatte ich drei Berufswünsche: Erfinderin, Schriftstellerin und Diplomatin. Das hat mich in den diplomatischen Dienst geführt. Insofern konnte ich meine beruflichen Träume wahr werden lassen.


Wie sind Sie darangegangen, Ihre Karriere zu gestalten und die Einsatzfelder zu finden, in denen Sie am meisten beitragen konnten? 
Ich bin nicht so sicher, ob man Karriere planen kann. Das Leben lässt sich nicht immer planen, aber Voraussetzung ist eine solide und breite Ausbildung, Neugier, offen zu sein für Gelegenheiten. Ich habe Volkswirtschaft studiert und hatte viele verschiedene Positionen auf allen Kontinenten, im diplomatischen Dienst in Afrika, Asien, Australien, in schwierigen Posten wie in Afghanistan, aber auch in verschiedenen Bereichen: Politik, Wirtschaft, internationale Zusammenarbeit ... Mein Interesse, für Deutschland tätig zu sein im Dienste der internationalen Politik, hat mich dann in ganz verschiedene Positionen gebracht, zum Auswärtigen Amt, in das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dann zur Weltbank und nun zu den Vereinten Nationen.

 

Welche Barrieren galt es zu überwinden? Wie haben Sie diese bewältigt? 
Wenn man Frau und dann noch jung ist, muss man beweisen, dass man kompetent ist, dass man durchsetzungsfähig ist, um sich Respekt und Anerkennung zu verschaffen. In späteren Jahren, als ich Führungspositionen einnahm, ging es darum, Verantwortung zu übernehmen, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu inspirieren und sich Unterstützung zu suchen, um berufliche Herausforderungen anzugehen und Ziele zu erreichen.

 

Wie haben Sie es geschafft, diese Unterstützung zu bekommen?
Ich habe von Rollenmodellen und Mentoren profitiert, die mich unterstützt haben. Ich habe von Vorgesetzten immer gelernt, entweder sagte ich mir, „so will ich nicht werden“, oder ich fand positive Anregungen, wie ich gerne leiten wollte. Bei meinem ersten Auslandsposten in Tansania hatte ich zum Beispiel eine Botschafterin, die mich sehr inspiriert hat. In den 80er Jahren gab es noch sehr wenige Botschafterinnen Deutschlands, das war schon etwas Besonderes. Von ihr habe ich gelernt, Fokus zu haben und hart zu arbeiten. Später hatte ich einen anderen Botschafter, der mein Mentor geworden ist. Von ihm lernte ich strategisches Denken und Netzwerke aufzubauen und auch, wie man mit Konflikten umgeht und Konferenzen leitet.

 

Welche Rolle spielte die geographische Mobilität in Ihrer Karriere, und wie haben Sie die damit verbundenen Herausforderungen bewältigt?
Ich war immer bereit, Gelegenheiten zu ergreifen, ob es nach Afghanistan ging oder von einem Ministerium ins andere, zur Weltbank oder dann zu den Vereinten Nationen. Das bedeutet natürlich, dass man zeitweilig auch getrennt ist von der Familie. Es ist in der Tat so, dass man auch Opfer bringen muss. Man muss eine gute Balance schaffen.

 

Können Sie einen Rat geben, wie man Beruf und Privatleben am besten verbindet trotz der Opfer, die man vielleicht manchmal erbringen muss? 
Ich hatte das Glück, einen Partner zu haben, der selbst einen hohen Selbstwert hat und auch einen interessanten Beruf und der mich andererseits bei Schlüsselschritten unterstützte. Wir haben wichtige Entscheidungen gemeinsam besprochen. Aber klar ist auch: "You can't have it all". Letztendlich muss man Entscheidungen individuell treffen und dann auch dafür einstehen. Ich würde den jungen Frauen heute raten: Augen auf bei der Partnerwahl! Suchen Sie sich Unterstützung, aber entscheiden Sie selbst, was Sie wirklich wollen, wo Ihre Fähigkeiten und Stärken liegen und woran Sie Freude haben. Bleiben Sie sich und Ihren Werten treu!

 

Welchen Rat können Sie unseren Mitgliedern gerade im mittleren Karrierebereich geben, wie man sich beruflich weiterentwickeln kann? 
Ich war sechs Jahre lang Frauenbeauftragte des Auswärtigen Amtes und habe mich auch intensiv damit beschäftigt, dass Frauen nicht nur gut starten, steil aufsteigen und dann aussteigen, sondern dass sie dabei bleiben. Dafür gibt es flexible Arbeitsmodelle. Entscheidend ist, bleiben Sie dran. Geben Sie lieber Geld für die Kinderbetreuung aus. Verbringen Sie qualitative Zeit mit der Familie, und nehmen Sie auch den Partner, sofern vorhanden, in die Verantwortung.

 

Eine letzte Botschaft an unsere Mitglieder? 
Never give up and enjoy what you are doing!

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Interview: Dr. Viviane Brunne, VDBIO-Vorsitzende
(veröffentlicht im Oktober 2018)