Von Planeten und Zukunftsszenarien: Gemeinsam gestalten im Zukunftslabor
ein Beitrag von Theresa Schwarz
Der 1. Dezember 2021 markierte den 45. Jahrestag des Verbands deutscher Bediensteter bei internationalen Organisationen (VDBIO) – herzlichen Glückwunsch! Viel ist passiert in den vergangenen Jahrzehnten, doch während die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten darf, möchte ich mich in diesem Gastbeitrag auf die Zukunft konzentrieren.
Hierzu passt der im September erschienene Bericht des UN Generalsekretärs Antonio Guterres “Our Common Agenda” (“Unsere gemeinsame Agenda”), welcher auf die nächsten 25 Jahre blickt. Seine Vision ist eine Zukunft weltweiter Zusammenarbeit und ein neu belebter Multilateralismus, der jeden und jede einbezieht, der vernetzt, der effektiv ist. Eine ambitionierte Vision, manche würden sogar sagen, wir sollten Visionen lieber weniger anspruchsvoll formulieren. Doch gerade jetzt, in einer Zeit voller Krisen, brauchen wir Visionen. Menschen, die weiter denken, sich alternative Zukünfte ausmalen können, an die Fähigkeit der Menschen glauben und daran, dass wir die Klimakatastrophe, Pandemien und weitere Krisen überwinden können. Gemeinsam. Als Weltgemeinschaft.
Denn es ist nicht einfacher geworden auf unserem Planeten. Mehr Menschen. Weniger Ressourcen. Mehr Herausforderungen. Und die Erkenntnis, dass Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft eng miteinander verknüpft sind, nicht stillstehen, stets voranschreiten, macht das Finden von nachhaltigen Lösungen nicht leichter. Bereiche wie “Planetary Health” (“planetare Gesundheit”) erkennen die Verflechtungen und pochen auf interdisziplinäre Ansätze, um nicht nur Menschen und ihre Gesundheit zu schützen, sondern unseren ganzen Planeten.
Oder sogar eines Tages unser ganzes Universum? Ich nehme momentan an einem Kurs für globale Gesundheit teil und sprach letztens mit einem meiner Kursberater darüber. Unsere Gedanken wanderten von planetarer Gesundheit zur Frage, ob wir uns irgendwann tatsächlich mit der Gesundheit des Universums beschäftigen würden. Und ich begann zu überlegen: Würden wir Konferenzen zwischen den interdisziplinären Ministerien der verschiedenen Planeten haben, um die erreichten nachhaltigen Entwicklungsziele auf der Erde aufrecht zu erhalten? Gäbe es sogar neue interplanetare Entwicklungsziele?
Ich fand diesen Gedankenaustausch nicht nur spannend, sondern auch äußerst zeitgemäß. Denn der UN-Generalsekretär sieht nicht nur den interdisziplinären Ansatz als unverzichtbar an, sondern möchte auch das kreative Zukunftsdenken fördern: Dafür plant er die Gründung eines Futures Lab (“Zukunftslabor”). In einer Zeit der Schnelllebigkeit ist die Gefahr groß, dass kurzfristiges Denken und Handeln überwiegt und langfristiges Planen nicht bedacht wird. Heute das neueste Mobiltelefon auf den Markt bringen, um in ein paar Monaten zu suggerieren, dass es schon wieder alt sei und das neuere Modell das einzig wahre darstelle. Heute Gemüse in Plastik verpacken, morgen landet die Verpackung im Müll, der dann vielleicht von anderen, ärmeren Ländern gekauft wird. Was dann damit passiert? Zumindest nicht mehr unser individuelles Problem. Wir kaufen morgen einfach wieder den verpackten Salat, wird schon gut gehen.
Wir müssen langfristig denken, planen, handeln. Hier kommen Zukunftsdenken und “Strategic Foresight” (“strategische Frühaufklärung”) ins Spiel. In seiner "Common Agenda" beschreibt der Generalsekretär, das "Futures Lab" könne dabei helfen, Zukunfts-Verträglichkeitsprüfungen, Maßnahmen und Programme zu realisieren sowie Zukunfts- und Planungsexpert/-innen des UN-Systems und seiner Partner zu versammeln, um in regelmäßigen Abständen über wichtige Entwicklungen (Megatrends) und katastrophale Risiken zu berichten. Das Lab könnte bereichsübergreifend mit Regierungen, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Privatsektor, gemeinnützigen und anderen Akteuren zusammenarbeiten, um strategische Frühaufklärung, Vorbereitung auf katastrophale Risiken und vorausschauende Entscheidungen zu fördern. Dabei könne das Lab Staaten, Regionalbehörden und andere Anspruchsgruppen unterstützen, Kapazitäten aufzubauen und vorbildliche Vorgehensweisen auszutauschen, damit Langfristigkeit, Bewegung nach vorne und Anpassung zur Norm werden.
UN Global Pulse, das Innovations-Netzwerk des UN-Generalsekretärs, versucht schon jetzt, durch Zukunftsarbeit Denk- und Verhaltensweisen, Richtlinien, Praktiken und Entscheidungen aller Organisationen zu ändern, die den Nutzen für die Gesellschaft und den Planeten sowie den Nutzen für ihre eigenen Organisationen betrachten. Das ambitionierte Ziel von UN Global Pulse: die gesamte UN zukunftsorientiert zu machen.
Doch das Ausmalen von möglichen Zukünften muss nicht bei Labs des Generalsekretärs enden. Es darf nicht dort enden, sondern muss in jeder und jedem von uns Wurzeln schlagen. Mit kurzfristigen Gedanken und “Was interessiert mich morgen?”-Taten werden wir unsere komplexen planetaren Herausforderungen nicht überwinden. Selbst heute einmal Geld für eine Emissionskompensation für den einen Flug zu überweisen, ist zwar für den Moment lobenswert, jedoch nicht genug, wenn wir danach weiterhin zig-mal ohne Kompensationen fliegen – oder uns einen fünftägigen Ausflug nach Bali gönnen, ohne in Kauf zu nehmen, dass der Urlaubsspaß auf Kosten anderer Menschen und unseres Planeten stattfindet.
Zukunftsdenken muss sich jedoch keineswegs als depressives, shakespearisches Drama im eigenen Kopf abspielen, allein, ohne Publikum. Es kann vielmehr verschiedene Szenarien erahnen, gerne auch in Zusammenarbeit mit anderen. Niemand muss als kreatives Talent geboren sein, jede und jeder besitzt die Fähigkeit zu erfinden, zu gestalten. Unterschiedliche Institutionen bieten bereits Übungen und Fortbildungen im Bereich der strategischen Frühaufklärung an, doch auch einfache Überlegungen können uns bei unseren ersten kreativen Schritten in die unbegrenzte Zukunftswelt der Möglichkeiten an der imaginären Hand führen, uns ermutigen, auch das Unwahrscheinlichste mit unserer Vorstellungskraft Wirklichkeit werden zu lassen – zumindest in unserem Kopf.
Vielen Kindern fällt es leichter, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Wenn Erwachsene dazu ermuntert werden, haben einige Vorbehalte, befürchten, sie würden als unreif oder kindisch abgestempelt. Dabei brauchen wir einen Hauch von Kindlichkeit, um über Lösungen zu stolpern, die wir vielleicht mit traditionellem Erwachsenen-Denken nicht finden würden. Selbst Albert Einstein meinte: "Phantasie ist wichtiger als Wissen. Wissen ist begrenzt, Phantasie aber umfasst die ganze Welt.” Während Wissen selbstverständlich auch seine (sehr wichtige!) Daseinsberechtigung hat, müssen wir gerade jetzt in dieser komplexen Zeit auf unserem eng vernetzten Planeten auch kreativen, zunächst abstrakt wirkenden Lösungen mehr Gehör schenken.
Zusammen Zukunft gestalten - als EINE Welt… oder ein Universum?
Jede und jeder von uns kann Zukünfte erfinden. Und kann sie gestalten. Da wir als globalisierte Gemeinschaft bestehen, können wir eine nachhaltige Zukunft dennoch nicht in Isolation gestalten, sondern in Zusammenarbeit auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene. Wir dürfen niemanden zurücklassen, müssen Vielfalt zelebrieren und stärken und alle Bereiche, öffentlich und privat, einbeziehen. Ein bedeutender Schritt in Richtung EINE Welt wurde bereits 2006 vollbracht: Das "High-Level Panel on UN System-Wide Coherence in the Areas of Development, Humanitarian Assistance and the Environment", vom damaligen UN-Generalsekretär berufen, empfahl den Ansatz “Delivering as One”. Er besagt, als EINE Einheit zu handeln, als EIN UN-System auf der Landesebene, mit einer Leitung, einem Programm, einem Budget und - wo angebracht - als ein Büro.
Diese Empfehlung spricht von der Landesebene, jedoch muss dieses Denken viel weiter gehen. Der Gründungsvertrag der UN, die UN Charter, nannte 1945 in der Präambel die Worte “together” (“zusammen”) und “unite” (“vereinigen”). Sie erinnern uns daran, dass nationale Taten wie das Horden von Vakzinen in einem bestimmten reichen Land nicht das globale Gemeinwohl ignorieren darf, sondern dass wir gemeinsam eine Lösung auf planetarer Ebene finden müssen - für eine nachhaltige Zukunft.
Wie wichtig internationale Zusammenarbeit sowie Zukunftsdenken und Experimentieren sind, hat der VDBIO erkannt – bei seiner Gründung, als er begann, andere miteinander zu vernetzen und aktiv einzubinden, und auch heute: Der Verband greift zeitige Themen auf und wagt sich auch gerne einmal in neue, unbekannte Gewässer, experimentiert mit neuen Ideen, wie dem Network Extender-Instrument: Einmal im Monat andere Mitglieder per Zufallsprinzip kennenlernen oder wiedersehen, sich weltweit im Verband vernetzen und austauschen. Das Instrument stellt eine flexiblere Alternative zum traditionellen Mentoring dar – es eignet sich für modernes Netzwerken, online oder persönlich. Es fördert den Austausch der Mitarbeitenden verschiedener Organisationen, fördert das Entdecken gemeinsamer Arbeitsbereiche, neue Erkenntnisse und damit das Ziel "EINES UN-Systems", geht sogar noch weiter, weil auch andere internationale Organisationen und EU-Institutionen eingebunden werden.
Es zeigt, dass der VDBIO mit der Zeit geht, dabei jedoch altbewährte Modelle nicht vergisst, sondern sie an die jetzigen Gegebenheiten anpasst, wie das Mentoring-Programm, ursprünglich nur für Berufseinsteiger/-innen gedacht, das nun aber auch und Berufstätige mit einigen Jahren Berufserfahrung mit einbezieht, das Early and Mid-career Mentoring Programme (EMMP).
Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir weiterhin eine Chance haben, die Zukunft nachhaltiger zu gestalten, wenn wir JETZT anpacken. Ich bin mir auch sicher, dass der VDBIO eine gute Plattform ist, um Ideen auszutauschen, und hoffe, dass wir uns bald unsere kreativen Zukunftsvisionen erzählen. Herzlichen Glückwunsch, VDBIO, ich freue mich auf Geschichten über interplanetare Ministerien und erreichte Universums-Entwicklungsziele!
Theresa Schwarz arbeitet in Finnland für das Innovations-Lab des UN-Generalsekretärs, UN Global Pulse. Dort managt sie die internationale Kommunikation mit Kooperations-Partnern und ist in Arbeitsgruppen für Projektmanagement, Koordination und Mittelbeschaffung tätig. Sie setzt sich für die Themen "Planetary Health", Umwelt-, Klima- und Katastrophenschutz ein und ist eine Verfechterin des “Delivering as One”-Ansatzes, den sie während ihres Einsatzes für das Wald- und Klima-Programm UN-REDD in Vietnam kennenlernte und der eine engere Zusammenarbeit der UN-Organisationen fördert. Dadurch inspiriert half sie in Finnland bei der Gründung der "One UN Finland Coordination Group" sowie der Advocacy- und Kommunikations-Untergruppen mit.
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