DGVN auf Studienreise nach Dakar, Senegal
Wer den VDBIO-Rundbrief schon über einen längeren Zeitraum regelmäßig liest, dem mag vielleicht aufgefallen sein, dass bis 2019 jeweils in der Ausgabe des letzten Quartals ein Bericht über die jährliche Studienreise der DGVN veröffentlicht wurde. Nicht so 2020; weshalb nicht, dazu braucht man nicht lange zu überlegen – COVID19 ist die Erklärung. Die langjährige und mit großem Erfolg praktizierte Tradition einer Studienreise an eine bedeutende Wirkungsstätte der UN im Feld musste umständehalber unterbrochen werden. Seit 2022 konnte diese Tradition erfreulicherweise wieder fortgesetzt werden.
Im vergangenen Jahr war Mosambik das Reiseziel, in diesem Jahr Senegal. Vom 3. bis zum 13. September hielt sich eine 18-köpfige Reisegruppe von DGVN-Mitgliedern (etwas mehr als die sonst übliche Teilnehmerzahl) unter der Leitung von Ekkehard Griep in der Landeshauptstadt Dakar auf.
Reiseziel und Zeitpunkt dieser Studienreise in den Senegal hätten kaum aktueller sein können:
innenpolitisch: Senegal steht vor Präsidentschaftswahlen zu Beginn von 2024; Amtsinhaber Macky Sall tritt nach zwei Amtsperioden nicht mehr für eine dritte an; mehrere Kandidaten halten sich zu seiner Nachfolge bereit, hierunter auch sein (gegenwärtig zu einer Haftstrafe verurteilter) erbitterter Opponent Sanko;
sicherheitspolitisch: Westafrika ist zu einer Zone politischer Instabilität geworden, Staatsstreiche in Mali, Burkina Faso und zuletzt in Niger, Djihadisten und vergleichbare Strömungen verängstigen und tyrannisieren regelrecht die Zivilbevölkerung, die humanitäre Lage ist vielerorts schlecht bis katastrophal;
UN-politisch: Dakar ist Sitz des UN-Regionalbüros für Westafrika (UNOWAS), die gesamte UN-Familie ist mit einer Personalstärke von annähernd 4'000 Mitarbeitenden im Land präsent; unter der Regie von UNICEF werden die über das weitläufige Stadtgebiet verteilten UN-Dienststellen 2024 (so die Planung) in ein außerhalb des Stadtgebietes neu errichtetes UN House umziehen.
Senegal gilt als eine Art von Stabilitätsanker in der Region, wenn man so sagen möchte, als „quite a robust democracy“, um mit den Worten eines Vertreters der politischen Abteilung der US-Botschaft zu sprechen. Darüber hinaus pflegt Senegal traditionell eine enge Kooperation mit den UN, dies bereits in kolonialen Zeiten (UNICEF ist dort seit 1958 tätig), und hat sich als verlässlicher Partner im Kreise der multilateralen „Player“ erwiesen, z.B. als Truppensteller für Friedensoperationen. Die Bedeutung Senegals lässt sich auch daran ablesen, dass das Auswärtige Amt die Botschaft Dakar einerseits von der Zuständigkeit für die Nachbarländer Gambia und Kap Verde entlastet, andererseits die Personalstärke deutlich vergrößert hat. Der Abzug der deutschen Blauhelme aus Mali wird nicht – wie ursprünglich geplant – über Niger nach dem Eintritt neuer Machtverhältnisse in diesem Land, sondern auch über Senegal abgewickelt werden, eine Herausforderung besonderer Art sowohl für Senegal als auch die Botschaft Dakar. An dieser Stelle sei der Botschaft ein großes Kompliment und ein herzlicher Dank ausgesprochen für die exzellente Unterstützung bei der Vorbereitung und Abwicklung des Programms der Studienreise, insbesondere bei der Vermittlung der zahlreichen Gesprächstermine, sowie für das ausführliche Briefing am ersten Tag.
Die Teilnehmenden trafen sich, was die UN-Familie angeht, u.a. zu Gesprächen mit dem „Resident Coordinator“, Frau Aminata Maiga, mit einem größeren Team des UNOWAS-Personals (zum Teil per Video-Zuschaltung von anderen Dienstorten) sowie mit Kolleginnen und Kollegen von UNICEF, UNDP, UNIFEM, WFP und der Weltbank. Hinzu kamen Gespräche mit dem Büro der IOM (International Organization for Migration), der EU-Delegation und Angehörigen der Botschaften Frankreichs und der USA. Weitere Treffen gab es mit Bediensteten und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung sowie mit der Leiterin des Büros der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Dakar (der KfW-Termin war ein Novum in der mittlerweile langen Historie der DGVN-Studienreisen). Als ehrenvoll für die Reisegruppe ist festzuhalten, dass sich auch die Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Rechtsausschusses des senegalesischen Parlaments und der Präsident des Obersten Gerichtshofs für ein Treffen kurzfristig zur Verfügung gestellt haben. Wie regelmäßig bei DGVN-Studienreisen fanden auch Begegnungen mit Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft und mit Journalisten statt, darunter ganz spontan mit dem Afrika-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung (zuständig für Sub-Sahara-Afrika). Neben den „amtlichen“ Terminen nahmen die Teilnehmenden auch am Wochenende oder bei Pausen zwischen den Verabredungen die Gelegenheit zum Besuch kultureller Sehenswürdigkeiten wahr. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ der Besuch der Dakar vorgelagerten Insel Gorée, die insbesondere im 18. Jahrhundert als Sammelplatz für die Verschiffung afrikanischer Sklaven nach Amerika diente. Von den ca. 20 Millionen nach Amerika „verkauften“ Sklaven überlebten etwa 5 Millionen die Überquerung des Atlantik nicht.
Wenn man die in den zahlreichen Gesprächen erfahrene Information und die Impressionen zusammenzufassen versucht, könnte man in groben Zügen etwa Folgendes sagen:
Die gesamte UN-Familie schätzt Senegal als eine recht solide Basis für ihr Engagement in der weiträumigen, aktuell höchst instabilen Region Westafrika. Senegal, ein Land, in dem es seit der Unabhängigkeit (1960) nie einen Staatsstreich gab, hat eine gewichtige Stimme auf multilateraler Ebene und heißt internationale Organisationen auf seinem Territorium willkommen. Insofern fällt auf, dass die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) nicht im Land präsent ist, obwohl Senegal auch hier eine engagierte Rolle einnimmt. Senegal hat als Staat des sogenannten Globalen Südens eine Menge vorzuweisen: einen Frauenanteil bei den Mitgliedern des nationalen Parlaments in Höhe von 44% (!), beachtlich ist ebenso ein für afrikanische Verhältnisse hoher Anteil an Frauen in den Vorständen privater Unternehmen, 21% der Energiegewinnung des Landes stammt aus erneuerbaren Energiequellen, Senegal steht an der Schwelle zum Eintritt in den Kreis der „middle income countries“, um ein paar eindrucksvolle Beispiele zu nennen. Gleichwohl kann man Risiken und Schwachpunkte nicht übersehen, etwa das djihadistische Umfeld in Senegals Nachbarschaft, dem nahezu die gesamte, zu 95% muslimisch geprägte Bevölkerung Senegals erfreulicherweise bis jetzt entschieden ablehnend gegenübersteht, Anzeichen von Verkrustungen im Präsidialsystem, der Grad der Alphabetisierung der Bevölkerung ist unbefriedigend (ca. 30% Analphabeten), Unregelmäßigkeiten beim Schulbesuch – UNICEF hat noch viel zu tun, hohe Jugendarbeitslosigkeit. Aber was die UN-Familie für das Land unternimmt, hat eine gute Perspektive auf sichtbare Erfolge. Mit diesem Gedanken an die Arbeit zu gehen, was könnte einen IO-Bediensteten noch mehr motivieren?
Artikel aus dem VDBIO-Rundbrief Nr. 181, veröffentlicht im Dezember 2023
Zum Autor: Wolfgang Münch arbeitete von 1991 bis 1995 bei der Ständigen Vertretung UN New York (Arbeitsschwerpunkte: 5. Ausschuss der Generalversammlung, ACABQ) und war 1995 kurzzeitig Leiter des UN-Referates im Bundesministerium der Finanzen. Von 1996 bis 2005 war er Inspektor in der Gemeinsamen Inspektionseinheit des UN-Systems in Genf und von 2006 bis 2008 bei der Botschaft Nikosia (Wirtschaft und Finanzen, UNFICYP). Seit 2016 ist er im Ruhestand.
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